Spiegelseele

Über das Leben einer multiplen Persönlichkeit (kontakt.spiegelseele@gmail.com)
Montag, 20. Juni 2016
Kleine July
Ich bin im Namen meiner kleinen Schwester eifersüchtig auf jedes Kind in ihrem Alter.
Jedes Kind, das ich alleine mit der Bahn fahren sehe, oder mit dem Bus. Jedes Kind, dass mit seinen Freunden und Freundinnen zur Schule geht, Schwimmem, oder ins Kino.
Jedes Kind, das im Park ein Buch liest und jedes, was zum Sport oder zum Musikunterricht geht.
Auf den kleinen Bruder eines Mitschülers, der neuerdings einen kleinen Nebenjob hat.
Auf die Nachbarsmädchen, die in den Ferien eine Woche zusammen zelten fahren...

Ich weiß, es geht vielen Kindern ihres Alters auch schlechter. Verdammt, ich schreibe auf einem Multi-Blog, natürlich geht es vielen schlechter.
Multiplen. Flüchtlingen. Und und und.
Aber darum geht es nicht.
Aber ich wünsche mir so sehr, dass sie das alles auch haben kann...
Die Dinge, die sie im Moment nicht machen kann, die Chancen die sie nicht hat...

Ich habe das Gefühl, dass ihre Kindheit zu Ende ist. Aber "erwachsen werden" kann sie auch noch nicht.

Meine kleine July...

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Mittwoch, 1. Juni 2016
Verständnislos
Ich halte mich in großen und ganzen für einen Mensch, der relativ viel Verständnis entwickeln kann.
Aber der Klinik, in der meine Schwester zur Zeit untergebracht ist, steh ich an machen Tagen verständnislos gegenüber.

Ich kann ihr Methoden zum Teil einfach nicht nachvollziehen.
Ich meine, klar ist Struktur wichtig, aber... Geht das nicht manchmal zu weit?
Regeln für alles und Sanktionen, sobald etwas nicht klappt?
Keine Erklärungen für die Regeln, keine Hilfe bei Schwierigkeiten?

Die gesamte Station hatte bis heute eine Sanktion, weil sie "insgesamt zu unruhig" ist.
Keine Medienzeit, kein Zucker (Nachtisch, Süßgetränke, Naschsachen), keine Ausflüge.

Heute wurde diese Sanktion für alle aufgehoben - bis auf drei Kinder.
Darunter - natürlich - meine Kleine.
Bei ihnen hätte die Sanktion nicht angeschlagen.
Bei July sieht das wie folgt aus: Sie verstellt sich zu sehr und sie hat heute rumgeschrien.

Das Verstellen zeigt sich in folgendem: Sie fordert keinen Trost von den Erwachsenen, wenn es ihr schlecht geht und ist momentan sehr aufgedreht.
Ich würde das auf mangelndes Vertrauen gegenüber der Betreuungskräfte und Aufregung aufgrund großer Veränderungen (Montag ist Vorstellungsgespräch bei einer Einrichtung, in die sie vllt zieht und heute hat sie ihren Vater gesehen (nicht getroffen, nur gesehen)) zurückführen und finde beide verständlich.
Aber natürlich ist das Interpretationssache.

Das rumschreien würde ich hingegen sogar als Fortschritt empfinden.
Sie hat ja bekanntlich ein Aggressions- und Regulationsproblem, sie wird von ihrer Wut überrollt und weiß nicht wohin mit ihr.
Heute hat ihr ein Junge auf dem Klettergerüst ein Bein gestellt, die ist dadurch heruntergefallen und hat ihn angeschrieen.
Noch vor zwei Wochen hat sie den gleichen Jungen mit Steinen beschmissen, als er sie beschimpft hat.
Ihr wurde darauf hin gesagt, vllt wäre es sinnvoller, ihrer Wut durch schreien Luft zu machen.
Aber das war eine andere Betreuerin.

Außerdem sei sie sehr patzig geworden, als es eine Meinungsverschiedenheit mit einer Betreuerin gab.
Diese meinte, unsere Mutter rauchen gesehen zu haben, July sagte, sie sei Nichtraucherin.
Die Betreuerin meinte, July würde lügen, July wiederholte, unsere Mutter sei Nichtraucherin.
Unsere Mutter ist tatsächlich seit 27 Jahren strickte und überzeugte Nichtraucherin.

Und so geht es weiter. Diese Situationen häufen sich einfach. Ich kann irgendwo für jede Verständnis aufbringen, ich kann nachvollziehen, wie sie entstehen und zT sogar die Intention dahinter.
Aber das allgemeine Prinzip verstehe ich nicht.

Ich finde es unübersichtlich. Ich glaube nicht, dass es langfristig helfen kann.
Und ich glaube nicht an Kontrolle und Strafe.
Ich glaube, dass Regeln an die individuelle Situation angepasst sein müssen, dass sie verständlich sein müssen.
Und ich glaube an Verständnis, Vertrauen und positive Verstärkung.
Klar, glaube ich auch, dass Struktur sinnvoll sein kann! Grade bei psychisch instabilen Menschen... Aber in dem Fall müsste es doch um Halt durch Struktur gehen, und nicht um das Einsperren und Unterdrücken durch Regeln?

Oder sehe ich das zu engstirnig, weil es um meine Schwester geht?

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Montag, 18. April 2016
Kleine Schwester
Ich habe noch genau drei Tage meine Schwester zu hause.
Dann geht sie in die Klinik.
Und anschließend in eine Einrichtung für belastete Kinder und Jugendliche.

Das ist doch scheiße. Sie ist doch erst elf.
Warum kriegen wir es nicht hin?
Wann ist sie untergegangen?
Was hätten wir tun können?

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Freitag, 11. März 2016
Da sein
Stabilität geben und halten. Was haltlos ist.
Und niemandem an sich heran lässt.
Auffangen, was geschmissen wird.
Überhören was sie sagt und erfassen, was zu groß ist, als das sie es fühlen kann.
Einen Rahmen geben, was aus jedem Rahmen fällt.
Und da sein. Immer da sein...

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Himmelhochjauchzent -
Zu Tode betrübt, alleingelassen, verängstigt, verschreckt.
Nicht gesehen, nicht gehört, nicht beachtet.
Allein.
Und eingeengt vor Betreuung.

Alles dreht sich um sie. Und doch ist sie
Außen vor
Und nie im Mittelpunkt.
Ihre Gefühle regieren sie. Und doch sind sie
Außen vor
Und nie im Gleichgewicht.

Die Wut.
Regiert nicht nur sie, regiert alle.
Macht angst und soll vor ihr schützen.
Zerstört. Überhört. Übertönt.

Die Wut.

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Himmelhochjauchzent - Zu Tode betrübt
Meine kleine Schwester ist derzeit alles andere als stabil.
Inzwischen so sehr, dass hier alles auf Ausnahmezustand läuft. Sie ist ausgeschult, kommt sehr bald in eine Klinik... Was dann kommt... Sehen wir dann.

Derzeit extremer als sonst lebt sie vollkommen in Extremstimmungen.
Sie wird förmlich von ihren Gefühlen durch die Gegend geschubst.
Nun ist es aber so, dass ihr große Gefühle angst machen. Sie läuft dann weg, versteckt sich - vor ihren eigenen Gefühlen...
Sie regulieren fällt ihr sehr schwer, sie lebt sie stattdessen in kaum vorhersehbaren, extremen und im Moment mehr als häufigen Wutanfällen aus.
Sie schreit, schlägt um sich, kratzt, beleidigt, schmeißt mit allem was in Reichweite ist (Stühlen z.B.), wertet ab was und wen sie kann...

Ich wünschte ich könnte ihr die Stabilität geben, die sie braucht...

Gleichzeitig möchte ich manchmal nur noch auf Abstand gehen weil ich nicht zum 8. Mal am Tag hören will was an mir nicht auszuhalten ist. Sie lässt mich ja eh nicht an sich ran.
Müsste man sich daran nicht gewöhnen?

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Sonntag, 6. März 2016
Bücher
Mal ein paar Bücher, die auf jeden Fall empfehlenswert sind:

Aufschrei, Truddi Chase...
Erlebnissbericht eines Systems, ihre Geschichte, Diagnostik, Therapie. Sehr sehr vielschichtig, zum Teil ziemlich heftig, aber ein sehr tiefer Einblick in das System, auch den Aufbau und das Leben als System.

Flüsterkind(er), Mona Michaelsen (und Ulla Michaelsen), Erlebnissbericht über s*xuellen K*ndesm*ssbrauch durch den Stiefvater, geschrieben in Form eines Briefes an die Mutter, die weggesehen hat... Sehr berührend, nicht weniger heftig.

Splitterfasernackt, Lilly Lindner
Ebenfalls autobiographisch, sehr heftig und berührend, eindringlicher, sehr lebendiger und bildreicher Sprachstil,
Selbstverletzung, m*ssbrauch, Magersucht, Prostitution...

Was bleibt, wenn ich verschwunden bin, Lilly Lindner
Fiktiv, eine briefsammlung zweier Schwestern, die versuchen einander zu retten... Thema ist hauptsächlich Magersucht...

Da vorne wartet die Zeit, Lilly Lindner
Kurze, in sich geschlossene Erzahlungen über Schicksal, Zeit und Zufall , die als Ganzes gesehen in einander übergehen,
Fand ich am Anfang eher anstrengend, dann aber sehr schön, obwohl auch sehr traurig... Geschmackssache würde ich sagen, aber der Schreibstil ist so schön :)

Hinter dem Blau, Alexa von Heyden
Halb autobiographisch halb fiktiv, Thema ist Suizid, aus der Sicht einer Angehörigen (Tochter),
Habs grade ausgelesen, sehr berührend...

Engel haben keinen Hunger, Brigitte Biermann,
Ebenfalls über Magersucht

Schuldlos schuldig, Susan Sloan
Fiktiv, steh ich zum Teil sehr gespalten gegenüber, sehr drastisch...
V*rgew*ltigung, der Betroffenen wird alle schuld gegeben, der Täter nicht verurteilt, ihr Versuch zu verarbeiten obwohl sie überall abgelehnt wird... Heftig.
Und... Naja, Geschmackssache.

Soweit erstmal, kommt bestimmt mal was dazu...
Was lest ihr gerne?

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Sonntag, 31. Januar 2016
Wofür Abitur?
Dieses Thema ist eigentlich blogfremd. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit multiplen Persönlichkeiten bzw. Systemen im allgemeinen oder der Truppe im besonderen zu tun.
Außer dem einen Punkt.
Wie allgemein bekannt hat die Truppe ja (zur Zeit) ein ziemliches Problem mit dem vorgegebenen (Schul-)System und der Frage nach der Notwendigkeit des Abis und des Systems und so weiter. Genau ausgeführt haben sie das ja vor ein paar Tagen.

Und momentan kann ich mich das auch nur fragen.
Warum funktioniert das System SO?
Da wird einem jahrelang beinahe hypnotisierend (seitens der Gesellschaft) eingebläut, dass man ohne Abitur oder ZUMINDEST Fachhochschulreife quasi absolut keine Chance hat etwas anderes als Putzfrau ('tschuldigung Reinigungskraft) zu werden, oder allenfalls noch Kassierer/in, aber das auch im Grunde nur mit gutem Realschulabschluss, und dann...
Stell ich heute fest, dass mein Bruder, der mit einem ziemlich schlechten Hauptschulabschluss gerade eine zweijährige Ausbildung beendet hat genauso viel verdient wie meine Mutter. (Ohne Schichtzulage seitens meines Bruders, die kommt noch dazu.)
Die mit Abitur mehrjährigem Studium und 30-jähriger Berufserfahrung, sowie diversen Zusatzausbildung daher kommt, und in ihrem Betrieb schon hochgestuft ist.

Dabei ist (Dipl.) Sozialpädagogik doch wohl wichtiger als an kaputten Flugzeugen rumschrauben?
Meiner Meinung nach zumindest.

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